Ärger? Nutzen Sie die Energie der Veränderung

Ärger? Nutzen Sie die Energie für Veränderung!

Autor: Dr. Christine Talker

Haben Sie sich heute schon geärgert? Ja? Ein ganz wenig, ziemlich oder vielleicht extrem stark? Wie hat sich Ihr Ärger bemerkbar gemacht? Fühlte es sich so an, als würde gleich Ihr Kopf zerspringen, ein Felsblock auf Ihrem Brustbein liegen, jemand Ihren Hals zuschnüren oder so, als würde Ihnen jemand in die Magengegend treten?

Alles nicht angenehm – soll es auch nicht. Denn die mit der Aktivierung einhergehenden, häufig äußerst unangenehmen Empfindungen, die wir als Ärger interpretieren, sind dringend erforderlich, damit wir merken, dass etwas mitunter ganz gehörig im Schiefen liegt. Oft ist dieser Ärger mit Ängsten verbunden. Etwas bedroht unseren Selbstwert, überschreitet unsere Grenzen und greift unser Selbst an. Verena Kast, Professorin für Psychologie an der Universität Zürich, betont den Sinn des Ärgers für unser Wohlbefinden. So wäre es um unsere psychische und physische Gesundheit schlecht bestellt, würden wir unser Selbst verlassen und dem Angriff emotions- und tatenlos zusehen oder diesen sogar gutheißen.

Ja, es kann geradezu als unsere Pflicht angesehen werden, uns selbst zu schützen, indem wir auf Grenzverletzungen in Übereinstimmung mit unserem Selbst und der Situation reagieren. Prof. Friedemann Schulz von Thun spricht in diesem Zusammenhang von „stimmiger“ Kommunikation.

Wie gehen Sie mit Ihrem Ärger um?

Schlucken Sie Ihren Ärger hinunter und tun Sie so, als wären Sie gar nicht verärgert? Bringen Sie Ihren Widersacher mit sarkastischen Worten zur Strecke, die sich wie Dolchstiche mitten ins Herz des Gegenübers bohren, und triumphieren Sie innerlich über Ihren vermeintlichen Sieg? Schweigen Sie unerbittlich und bestrafen so Ihr Gegenüber für die Ihnen zugefügten Verletzungen? Schreien Sie sich Ihren Ärger von der Seele und lassen durch Türenknallen Ihr Umfeld wissen, dass Sie im Kampfmodus sind? Oder haben Sie schon erlebt, dass Sie in völliger Rage alles um sich herum ausgeblendet haben und nur noch einen einzigen Weg sahen, dem schier unerträglichen Leidensdruck zu entkommen – die körperliche Attacke auf den vermeintlichen Angreifer?

Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, unsere Verärgerung zum Ausdruck zu bringen. Meist jedoch zeigen wir ein recht eingeschränktes Repertoire an Verhaltensweisen – Strategien, die wir im Laufe unseres Lebens erlernt und durch ständiges Wiederholen automatisiert haben. Bei entsprechendem Auslöser wird dieses „Ärgerprogramm“ abgespult. Allerdings ist dieses automatisierte Verhalten häufig weder authentisch noch situationsadäquat. All die genannten Formen des Umgangs mit Ärger haben eines gemeinsam: Sie schaden auf Dauer der Gesundheit aller Beteiligten. Ständig unterdrückter Ärger mag seinen Ausdruck in körperlichen Beschwerden finden. Lange andauerndes Schweigen, als eine Form der passiven Aggression, belastet nicht nur den Schweigenden, der sich in Rachegedanken verliert, sondern auch den Angeschwiegenen, über dessen Haupt das Damoklesschwert des hereinbrechenden Unheils schwebt. Das angenehme Gefühl der Überlegenheit nach verbalen und/oder körperlichen Attacken auf das Gegenüber währt nur kurz und schon bald macht sich eine allgemeine Unruhe im Körper breit – ein Hinweis auf aufkommende Schuldgefühle?

Vielleicht wird einem erst nach den Angriffen bewusst, dass die Verteidigung des Selbst, sei es durch beleidigende Worte oder durch körperliche Übergriffe, beim Gegenüber schwere psychische und physische Verletzungen verursachen kann.

Das können Sie tun

Sie werden sich jetzt vielleicht fragen, ob es denn überhaupt einen gesundheitsförderlichen Umgang mit Ärger gibt. Die herausfordernde Antwort lautet: ‚Ja, es gibt unzählige, kreative Wege, mit Ärger umzugehen!‘ So gibt es weder ein Rezept für das optimale Ärgermanagement, noch ist es möglich, alle Eventualitäten darzustellen.

Die nachfolgende Beschreibung des Umgangs mit Ärger im sozialen Kontext ist daher als Anregung zu verstehen, die Sie in kreativster Weise an Ihr Selbst und Ihre Situation anpassen mögen.

Üben Sie sich in der Wahrnehmung und Bezeichnung Ihrer Gefühle und der damit verbundenen Körpersignale. Das ermöglicht Ihnen, die mit dem Ärger verbundene ansteigende Aktivierung rascher zu identifizieren. Durchbrechen Sie Ihr bisheriges Verhaltensmuster, indem Sie bewusst Ihre automatisierte Reaktion stoppen. Dadurch verändern Sie etwaige festgefahrene Ärger-Dynamiken zwischen Ihnen und Ihrem Gegenüber.

Mithilfe von Atemtechniken können Sie Ihr Erregungsniveau rasch auf ein verträgliches Maß senken, um wieder klar denken zu können. Nutzen Sie die noch vorhandene Energie zur Veränderung und sprechen Sie den Konflikt an, um Ihre (neue) Grenzsetzung nach außen zu kommunizieren. Sprechen Sie wertschätzend und bestimmt – damit schaffen Sie eine Balance zwischen zwei Extrempositionen: einer möglichen Tendenz, es immer allen recht machen zu wollen, und einem etwaigen Drang, den „Grenzverletzer“ über die Maßen zu bestrafen.

Hören Sie Ihrem Gegenüber aufmerksam zu und bleiben Sie offen für andere Sichtweisen. Vielleicht erkennen Sie sogar Ihren eigenen Anteil an Ihrem Ärger – ein großer Schritt in Richtung Veränderung.

Professionelle Unterstützung

Falls Sie jedoch merken, dass es Ihnen nicht gelingen will, starke negative Gefühle zu regulieren, dann nehmen Sie professionelle Unterstützung in Anspruch. Sie sind Ihren Emotionen nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Ganz im Gegenteil – der konstruktive Umgang mit Ärger ist erlernbar. Und falls Sie zu jenen Personen zählen, die sich darüber ärgern, dass sie sich schon wieder ärgern, behalten Sie die Worte von Prof. Verena Kast im Hinterkopf: „Wer Ärger zulässt, glaubt daran, dass man das Leben noch verändern kann.“

www.chris-talker.at